Gesamtwirtschaftliche Prognose

Indien gehört zur Gruppe der wirtschaftlich wichtigsten Schwellenländer. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 2.900 Mrd. Euro im Jahr 2023 ist das Land die weltweit sechstgrößte Volkswirtschaft. Aufgrund der sehr hohen Wachstumsdynamik – wir erwarten, dass die Wirtschaft des Landes in den 2020er Jahren im Durchschnitt um 6,8 Prozent p. a. wächst – wird Indien im Jahr 2030 sogar die drittgrößte Volkswirtschaft sein und damit Deutschland, das Vereinigte Königreich und Japan hinter sich lassen. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist jedoch nach wie vor auf einem niedrigen Niveau, wobei es von rund 2.000 Euro im Jahr 2023 auf rund 3.000 Euro im Jahr 2030 steigen dürfte. In China betrug das Pro-Kopf-BIP jedoch bereits im Jahr 2023 über 10.800 Euro.

Demografische Entwicklung

Indien löste im Laufe des Jahres 2023 China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ab. Der Grund: Während sich Chinas Bevölkerung in einem fortgeschrittenen Alterungsprozess befindet und schrumpft, wächst Indiens Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten weiter an. Heute leben rund 1.400 Millionen Menschen zwischen Kerala und Kaschmir. Im Jahr 2030 dürften es über 1.500 Millionen Menschen sein. Indien profitiert von seiner jungen Bevölkerungsstruktur. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter nimmt sowohl absolut als auch relativ zur Anzahl der Personen im nichterwerbsfähigen Alter zu. Damit ist zum einen ein großes Arbeitskräftereservoir für die Unternehmen des Landes sichergestellt. Zum anderen verleiht eine junge Bevölkerung dem Privatkonsum einen Wachstumsimpuls.


Außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die außenwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Indien und Deutschland sind durch die allgemeinen Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) geregelt. Ein Freihandelsabkommen existiert nicht. Gemäß den WTO-Bestimmungen fallen beim Export nach Indien auf viele Waren Zölle an. Zudem wird der Handel mit Indien durch eine Vielzahl von nichttarifären Handelshemmnissen gebremst, wie z. B. Quoten, Lizenzen oder Nachweispflichten zur Erfüllung spezifischer indischer Standards. Mittelfristig könnte sich die Situation durch den Abschluss eines umfassenden Freihandelsabkommens verbessern. Nachdem die Verhandlungen zwischen der EU und Indien zehn Jahre lang de facto ruhten, wird seit 2022 wieder verhandelt. Zwar gibt es nach wie vor erhebliche inhaltliche Streitpunkte. Beide Seiten scheinen jedoch gewillt zu sein, diese zu lösen.

Institutionelle Rahmenbedingungen

Im Hinblick auf die durchschnittliche Qualität der Institutionen im Land wird Indien im Mittelfeld eingeordnet. Zu den Standortvorteilen des Landes gehören etwa gemäß dem World Competitiveness Ranking eine dynamische Privatwirtschaft, der große und dynamisch wachsende Binnenmarkt, das riesige Arbeitskräftepotenzial und eine moderne Technologie- und Wissenschaftsinfrastruktur. Schwachpunkte bilden hingegen die Verkehrs- und Energieinfrastruktur und die unterdurchschnittliche Qualität der schulischen Bildung und des Gesundheitssektors. Zudem bremst ein hohes Maß an Bürokratie unternehmerische Tätigkeiten.

Politische Rahmenbedingungen

Die politischen Rahmenbedingungen Indiens sind durch eine hohe Stabilität gekennzeichnet. Seit 2014 wird es von Ministerpräsident Narendra Modi und seiner hindu-nationalistischen Partei BJP geführt. Das Land hat eine parlamentarisch-demokratische Verfassung und ist föderal aufgebaut. Die einzelnen Bundesstaaten haben weitreichende Befugnisse und unterscheiden sich zum Teil sehr deutlich, etwa im Hinblick auf das Wohlstandsniveau oder der Qualität der Infrastruktur.

Exportchancen in Indien im Fokus

Indien ist in der Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer einer der wichtigsten deutschen Handelspartner. Zwischen 2012 und 2022 stieg die deutsche Ausfuhr nach Indien um 3,6 Prozent p. a. und damit in etwa so stark wie die deutsche Ausfuhr insgesamt. Im Jahr 2022 lag ihr Wert bei rund 15 Milliarden Euro. Damit entfällt rund 1 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhr auf Indien.

In den kommenden Jahren bis 2030 rechnen wir mit einem kräftigen Wachstum der indischen Importnachfrage insgesamt. Sie dürfte um durchschnittlich 3,4 Prozent p. a. zulegen. Besonders dynamisch dürfte die indische Importnachfrage nach Datenverarbeitungsgeräten (DV-Geräte), Elektronik und Optik steigen. Die Einfuhr von Kraftwagen und Maschinen dürfte hingegen nur unterdurchschnittlich zulegen.

Kraftwagen und Kraftwagenteile

Während die Produktgruppe Kraftwagen und Kraftwagenteile für den deutschen Exportsektor insgesamt eine herausragende Rolle innehat, spielt sie bei den Handelsbeziehungen mit Indien eine kleinere Rolle. Die deutsche Ausfuhr ging seit 2012 um durchschnittlich 2 Prozent p. a. zurück und belief sich 2022 auf rund 600 Millionen Euro. Zwar hat Deutschland auf dem indischen Importmarkt einen vergleichsweise hohen Marktanteil von 10 Prozent. Jedoch ist der indische Markt für Kraftwagen stark vom internationalen Handel abgeschottet. Zudem werden in Indien vorwiegend einfachere Fabrikate nachgefragt, wohingegen die deutschen Autobauer in erster Linie das Premiumsegment bedienen. Außerdem ist die Wettbewerbsintensität sehr hoch – insbesondere ostasiatische Hersteller haben eine große Marktmacht. Chancen könnten sich insbesondere im Bereich der Autozulieferindustrie ergeben: Die heimische Autoproduktion in Indien wächst dynamisch, insbesondere qualitativ hochwertige Komponenten werden häufig importiert.

Maschinen und Maschinenteile

In der Produktgruppe Maschinen und Maschinenteile ist Deutschland mit einem Anteil von 11 Prozent der zweitwichtigste ausländische Lieferant für Indien überhaupt. Gleichwohl ist der Abstand zum Marktführer China – der einen Anteil von 39 Prozent hat – gewaltig. Deutsche Exporteure von Maschinen können davon profitieren, dass die indische Regierung den Aufbau von industriellen Produktionskapazitäten großzügig fördert. Im Rahmen des Programms „Production Linked Incentives“ erhalten Unternehmen aus 14 Wirtschaftsbereichen (darunter Kraftwagenbau, Elektrische Ausrüstungen, DV-Geräte, Elektronik, Optik, Metallerzeugung, Pharma und die Textilindustrie) Unterstützungsleistungen, wenn sie die Produktionskapazitäten in Indien modernisieren und ausbauen. In diesen Bereichen dürfte die indische Importnachfrage nach Maschinen und Anlagen in den kommenden Jahren überdurchschnittlich zulegen.

Elektrische Ausrüstungen

In der Produktgruppe Elektrische Ausrüstungen zeigt sich ein ähnliches Bild wie im Maschinenbau: Deutschland ist der zweitwichtigste internationale Lieferant Indiens, China hat jedoch einen deutlichen Vorsprung. Die heimischen Produktionskapazitäten im Bereich Elektrische Ausrüstungen werden derzeit kräftig ausgebaut, Indien wird zunehmend zu einem wichtigen Beschaffungsmarkt für Unternehmen weltweit. Damit gehen auch Marktchancen für deutsche Elektroexporteure einher: Da die indischen Produzenten nicht alle Komponenten selbst herstellen, dürfte in der Folge auch der indische Importbedarf an qualitativ hochwertigen Vorprodukten zunehmen.

DV-Geräte, Elektronik, Optik

Die deutsche Ausfuhr in der Produktgruppe DV-Geräte, Elektronik, Optik konnte in den vergangenen Jahren besonders stark zulegen. Von 2012 bis 2022 ist der deutsche Exportwert um durchschnittlich 5 Prozent p. a. gestiegen. Dennoch bedient Deutschland mit einem Wert von 1,4 Milliarden Euro (2022) lediglich 2 Prozent der indischen Importnachfrage in diesem Bereich. Die Marktführer auf dem Importmarkt sind asiatische Länder, allen voran China mit einem Anteil von 47 Prozent. Die indische Regierung plant im Rahmen des Förderprogramms „Production Linked Incentives“ auch die Produktion von DV-Geräten, Elektronik und Optik auszubauen. Dennoch können sich für deutsche Unternehmen Absatzchancen in Indien bieten. Die indische Regierung plant Indien zu einem Cloud Computing und Datenzentrumshub zu entwickeln. Dafür baut das Land u. a. seine Rechenzentrumskapazitäten stark aus. Erste Unternehmen, wie bspw. Amazon (12,7 Mrd. US-Dollar) und Microsoft (1,9 Mrd. US-Dollar) investieren vor Ort in den Bau von neuen Rechenzentren. Auch im Bereich Medizintechnik weist Indien Absatzmöglichkeiten für deutsche Unternehmen auf. Die indische Regierung plant die Gesundheitsinfrastruktur auszubauen. Über die „Ayushman Bharat Health Infrastructure Mission“ fließen bis 2026 insgesamt 8 Milliarden US-Dollar in den Auf- und Ausbau mehrerer Tausend Gesundheits- und Versorgungszentren. 

Metallerzeugnisse

Auf dem indischen Markt für Metallerzeugnisse zeigt sich bei der Wettbewerbssituation ein ähnliches Bild wie in der Branche Elektrische Ausrüstungen. Die deutsche Ausfuhr ist von 2012 bis 2022 um durchschnittlich 3 Prozent p. a. auf zuletzt 460 Millionen Euro (2022) angestiegen. Die indische Regierung unterstützt mit öffentlichen Mitteln den Infrastrukturausbau. Der Anstieg der städtischen Bevölkerung erfordert Investitionen in die urbane Infrastruktur. Hier können sich Absatzchancen für deutsche Metallerzeugnishersteller ergeben. Mit dem staatlichen Investitionsprogramm „National Infrastructure Pipeline“ deckt die indische Regierung ein umfangreiches Spektrum an Investitionen in verschiedene Infrastrukturbereiche ab. Seit 2020 umfasst das Programm bisher über 15.000 einzelne Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 2,2 Billionen US-Dollar. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur steht im Zentrum des Vorhabens, über die Hälfte der realisierten bzw. geplanten Projekte sind diesem Bereich zuzuordnen. Im Zuge des Straßenbauprogramms „Bharatmala Pariyojana“ plant die Regierung 84.000 Kilometer Straße neu bauen bzw. modernisieren zu lassen. In der ersten Projektphase werden bis 2027 über 34.000 Kilometer Straßen gebaut. Die ersten Vorhaben der nächsten Projektphase, mit 5.000 Kilometern und einem Budget von 36 Milliarden US-Dollar, werden noch 2023 ausgeschrieben.

Indien als Investitionsstandort


Indien könnte für einige Unternehmen nicht nur ein vielversprechender Absatzmarkt, sondern auch ein potenzieller Investitionsstandort sein. Derzeit beträgt der Bestand an deutschen Auslandsinvestitionen in Indien rund 21 Milliarden Euro. Seit 2011 hat diese Summe um über 130 Prozent zugelegt – und damit mehr als doppelt so stark wie die deutschen Auslandsinvestitionen insgesamt. Mit einem Anteil von 1,4 Prozent am gesamten deutschen Investitionsbestand im Ausland spielt Indien aber nach wie vor eine geringe Rolle. Indien wirbt intensiv um ausländische Direktinvestitionen und versucht seit einigen Jahren verstärkt, mithilfe von Reformen die damit verbundenen Prozesse für Unternehmen einfacher und übersichtlicher zu gestalten. Zudem gibt es verschiedene Fördermaßnahmen. Trotz der damit verbundenen Fortschritte bleibt die zum Teil ausufernde Bürokratie eine große Herausforderung.

Ein wichtiger Standortvorteil Indiens ist das große Arbeitskräfteangebot. Gleichwohl ist das Bildungsniveau im Durchschnitt vergleichsweise niedrig: So verfügen nur rund 13 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Indien über ein höheres Bildungsniveau. Der Anteil der Industriebeschäftigten an allen Beschäftigten ist mit rund 26 Prozent recht hoch – ein Hinweis darauf, dass sich Indien als Produktionsstätte für Industriebetriebe gut eignen könnte.

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