Spotlight Deutschland

Die kurze Frist
bis 2022

Wie schnell erholt sich Deutschland von der Coronakrise?

Die wirtschaftliche Entwicklung

Wie vielen anderen Industrieländern hat die Coronakrise auch Deutschland einen tiefen wirtschaftlichen Einschnitt beschert. Im Jahr 2020 brach das deutsche BIP um 5 Prozent ein, so stark wie seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 nicht mehr. Allerdings verläuft die Erholung, trotz anhaltender und erst seit Mai 2021 wieder zurückgenommener Lockdown-Maßnahmen, auf Jahresbasis betrachtet ähnlich schnell wie damals. So erwarten wir für das Jahr 2021 insgesamt eine Wachstumsrate von 3,5 Prozent, für 2022 ein Wachstum um 2,6 Prozent. Damit erreicht Deutschland innerhalb von drei Jahren wieder das Vorkrisenniveau von Ende 2019. Anders formuliert: Es fehlen drei Jahre Wachstum. Insbesondere die schnelle wirtschaftliche Erholung Chinas sowie der USA und die damit verbundenen Exportgewinne deutscher Unternehmen tragen zu diesem Aufschwung bei. Zu beachten ist allerdings, dass ohne die Coronakrise der Wachstumspfad ein anderer gewesen wäre. Das Vorkrisenniveau zu erreichen, heißt damit nicht, dass es keine Einbußen mehr gibt. 

Vergleichsweise moderate Erwartungen

Mit dieser Einschätzung sind wir in der Kurzfristprognose zurückhaltender als andere Wirtschaftsforschungsinstitute, die teils deutlich höhere Wachstumsraten für 2021 und 2022 erwarten bzw. mindestens in einem der beiden Jahre. 

Staatlicher Konsum stabilisiert in der Krise

Besonders stark brach im Pandemiejahr 2020 der Außenhandel ein. Mit einem Rückgang von 9,8 Prozent gegenüber 2019 belasteten die Exporte die Konjunktur besonders. Auch die Importe brachen mit -8,5 Prozent in ähnlicher Größenordnung ein. Zudem waren der private Konsum (-5,9 %) und die Bruttoanlageinvestitionen (-3,5 %) während des Lockdowns rückläufig. Einzig der Staatskonsum hat – getrieben durch Corona-Hilfsmaßnahmen und steigende Ausgaben etwa im Gesundheitswesen – während der Krise zugelegt (+3,4 %). In den Jahren 2021 und 2022 liegen die Wachstumsraten aller Komponenten wieder im positiven Bereich.

Der Wachstumsbeitrag des privaten Konsums erreicht 2021 fast 60 Prozent und liegt damit deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von knapp 50 Prozent. Verantwortlich hierfür sind zu erwartende Nachholeffekte im Takt mit der schrittweisen Rückkehr zur „Normalität“. Die Investitionen tragen gut 20 Prozent zum Nachkrisen-Wachstum bei, gefolgt vom staatlichen Konsum (15 %) und dem Außenbeitrag (5 %). Letzterer gewinnt 2022 mit 16 Prozent wieder deutlich an Bedeutung, während der private Konsum sich auf dem langfristigen Niveau einpendelt.

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt

Mit Blick auf den Arbeitsmarkt zeigen sich spürbare Folgen der aktuellen Krise in der kurzen Frist. Es ist ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit zu beobachten. Rechnerisch hat die COVID-19-Pandemie die Arbeitslosigkeit um rund 500.000 Personen erhöht, in der Spitze der ersten Welle sogar um knapp 640.000 Personen. So waren in Deutschland Anfang des Jahres 2020 nach Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA, zum Statistikportal) 2,4 Millionen Menschen ohne Arbeit. Unter Berücksichtigung üblicher konjunktureller Schwankungen ist die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im ersten Quartal 2021 leicht rückläufig gewesen auf aktuell rund 2,2 Millionen Menschen.

Ungeachtet der Krise ist aus vielen Fachkräftestudien und -szenarien, etwa der von Prognos regelmäßig für vbw erstellten „Arbeitslandschaft“ (Infobox), bekannt, dass Deutschland durch den demografischen und technologischen Wandel in bestimmten Teilarbeitsmärkten absehbar auf einen spürbaren Fachkräftemangel zusteuert bzw. dies in manchen Bereichen bereits der Fall ist. Die demografische Entwicklung beschränkt damit die Wachstumsmöglichkeiten Deutschlands. Die Kurzarbeit ist daher in doppelter Hinsicht ein wichtiges Instrument: Sie hilft nicht nur Unternehmen und Belegschaften akut in der Krise, sondern trägt auch dazu bei, Beschäftigung und Arbeitsverhältnisse für die kommenden Jahre zu sichern.

Studienreihe „Arbeitslandschaft“ und zugrundeliegendes Modell

Die Studienreihe „Arbeitslandschaft“ gibt seit 2008 einen Überblick über die Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage, des Arbeitsangebots sowie der daraus resultierenden potenziellen Arbeits- und Fachkräftelücke in Deutschland und Bayern. Dabei werden die Ergebnisse differenziert nach Branchen, Berufen, Tätigkeiten, Qualifikation und Hauptfachrichtung der Erwerbstätigen. Die aktuelle „Arbeitslandschaft“ wurde im Frühjahr 2019 und damit deutlich vor Beginn der Coronakrise veröffentlicht (zur Studie).

Im der Studie zugrunde liegenden Rechenmodell wird die Nachfrage nach Arbeitskräften maßgeblich von der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung sowie der Alterung der Bevölkerung beeinflusst. Das künftige Arbeitsangebot wird durch die demografische Entwicklung sowie das Erwerbsverhalten und das Ausbildungsniveau der Personen im erwerbsfähigen Alter bestimmt. Die Saldierung von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ermöglicht es, für jeden der betrachteten Teilarbeitsmärkte (Branchen, Berufe etc.), Ungleichgewichte und potenzielle Engpässe am Arbeitsmarkt frühzeitig zu erkennen. Zusätzlich kann anhand des Rechenmodells bestimmt werden, in welchem Ausmaß bestimmte Maßnahmen (bspw. Erhöhung der Erwerbsbeteiligung) dazu beitragen können, eine potenziell entstehende Arbeits- und Fachkräftelücke zu verringern.

Kurzarbeit stabilisiert den Arbeitsmarkt

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere die exportorientierte und sehr arbeitsteilige deutsche Industrie, wurde von der Coronakrise stark getroffen. Teilweise Werksschließungen, Lieferausfälle und Absatzrückgänge auf den internationalen Märkten machten Anpassungen der Beschäftigung in den Unternehmen erforderlich. Durch das bereits in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 erfolgreich eingesetzte Instrument der Kurzarbeit konnten dabei Entlassungen häufig vermieden werden. Das spiegelt sich in den Zahlen zur von den Unternehmen angezeigten und tatsächlich realisierten Kurzarbeit.

Das Ausmaß der Kurzarbeit während der COVID-19-Pandemie stellt das früherer Krisen deutlich in den Schatten. So waren 2009 in der Spitze knapp 1,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit, im April 2020 hingegen viermal so viele. Die aktuellen Hochrechnungen der BA zeigen, dass die wirtschaftliche Erholung andauern muss, um den weiterhin hohen Grad der Kurzarbeit wieder zu senken. Anteilig besonders viele Kurzarbeitende verzeichneten in 2020 u. a. der Kraftwagenbau sowie die Gastronomie.

Erholung dauert über 2022 hinaus

Grundsätzlich dauern die Verwerfungen am Arbeitsmarkt noch an. Bis alle Branchen wieder ihre vorherigen Beschäftigtenzahlen erreichen, dürfte es noch mehrere Jahre dauern. Denn nicht nur die Arbeitslosigkeit hat zugenommen, es sind auch weniger neue Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und die der geringfügig Beschäftigten fällt nach Schätzungen der BA im ersten Quartal 2021 um jeweils gut 500.000 Personen niedriger aus gegenüber einer fiktiven Entwicklung ohne Krise. Für die Erholung und künftige Fachkräftesicherung ebenfalls von Bedeutung ist die Zahl der Auszubildenden. Hier zeichnet sich auf Basis der derzeit verfügbaren Daten ein deutlicher Rückgang der Zahl der Bewerber*innen sowie auch der Zahl der Ausbildungsstellen ab. Gründe hierfür sind die krisenbedingt gestiegene Unsicherheit und Einschränkungen während der Pandemie sowie der Wegfall gewohnter Zugangswege in die Ausbildung, die durch digitale Angebote nicht vollständig ersetzt werden konnten. 

Prognos Branchen-Konjunkturprognosen

Nicht alle Branchen profitieren gleich schnell und in gleichem Maße von der gesamtwirtschaftlichen Erholung, die wir für den Verlauf des Jahres 2021 erwarten. Selbst in „ruhigen“ Zeiten wachsen einige Branchen überdurchschnittlich, während andere sich schwach entwickeln. Zwischen den Branchen liegen oft mehr als 10 Prozentpunkte. Die BIP-Prognose für Deutschland als Grundlage für Planungen auf Branchen- oder Unternehmens­ebene heranzuziehen, greift demnach zu kurz bzw. ist zu ungenau.

Die Jahre 2021 und 2022 sind von einem wirtschaftlichen Aufholprozess geprägt, der jedoch in den verschiedenen Branchen mit sehr unterschiedlicher Dynamik verläuft. Die Spanne zwischen der schwächsten und der stärksten Branchenentwicklung dürfte größer ausfallen als je zuvor.


Spotlight Deutschland in der langen Frist
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