Trends und Treiber

Globalisierung

Wie sieht die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit aus?

Relevanz der Globalisierung

Die Globalisierung, also die zunehmende internationale Verflechtung und Zusammenarbeit auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene, hat vielschichtige Auswirkungen auf Volkswirtschaften. Die Globalisierung schafft Wohlfahrtsgewinne. Die materiellen Wohlfahrtgewinne speisen sich vor allem

  • aus Spezialisierungsgewinnen (u. a. infolge von Optimierungen von Prozessen durch Erfahrungs- und Lerneffekte) und damit einhergehenden Produktivitätssteigerungen sowie
  • aus der Verbesserung der Konsumversorgung durch eine wachsende Produktvielfalt und
  • aus einem beschleunigten technologischen Fortschritt infolge zahlreicherer internationaler Forschungsleistungen.

Gleichwohl können die Wohlfahrtsgewinne ungleich verteilt sein. Dies birgt Konfliktpotenzial.

Zudem verändert die globale Zusammenarbeit wesentliche Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen agieren. Dies betrifft bspw. internationale Vereinbarungen und Institutionen zur Vereinfachung des grenzüberschreitenden Handels, zum Schutz geistigen Eigentums sowie zum Umwelt- und Klimaschutz. Damit ist die Globalisierung ein wichtiger Einflussfaktor von Wachstum, Produktivität und Wohlstand.

Welthandelsorganisation

Die Welthandelsorganisation (WTO) bildet das rechtliche und institutionelle Fundament des Welthandels, indem sie internationale Handelsregeln überwacht sowie als Plattform für multilaterale Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Handelsregeln und zur Schlichtung von Handelsstreitigkeiten dient. Erklärtes Ziel der WTO ist die Liberalisierung bzw. Vereinfachung und Förderung des grenzüberschreitenden, diskriminierungsfreien Handels durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen sowie durch die Vereinfachung von Zollverfahren. Die WTO hat zurzeit 164 Mitglieder. Seit dem Beitritt Chinas 2001 und Russlands 2012 sind alle bedeutenden Volkswirtschaften in ihr vertreten.

Streitschlichtungsverfahren und Kontroversen

Kernelement der WTO bildet das Streitschlichtungsverfahren. Indem es die Möglichkeit bietet, bei Streitigkeiten eine unabhängige Instanz anzurufen, die verbindliche Entscheidungen treffen kann, garantiert das Streitschlichtungsverfahren die Wirksamkeit von Handelsregeln und Rechtssicherheit. Dies ist insbesondere für Länder mit geringer wirtschaftlicher oder politischer Verhandlungsmacht sowie für kleinere Unternehmen von Bedeutung. Bislang konnten Handelsstreitigkeiten in über 500 Verfahren gelöst werden. 

Allerdings ist es den Mitgliedstaaten bisher nicht gelungen, das Regelwerk der WTO seit ihrer Gründung nennenswert weiterzuentwickeln. Die 2001 begonnene sogenannte Doha-Runde war der letzte groß angelegte Versuch dazu. Die Verhandlungen scheiterten jedoch und blieben ohne Ergebnis. Daher stammen viele internationale Handelsregeln aus dem vergangenen Jahrhundert. Sie werden der heutigen Bedeutung der aufstrebenden Schwellenländer sowie der Veränderungen durch die Digitalisierung und den Umwelt- und Klimaschutz nicht mehr gerecht. 

Zudem ist das Streitschlichtungsverfahren nach Meinung vieler WTO-Mitglieder reformbedürftig, um ein effizientes und schlagkräftigeres Vorgehen gegen wettbewerbsverzerrende Maßnahmen zu ermöglichen. Seit 2016 blockieren die USA die Nachbesetzung von Mitgliedern in der Berufungskammer, die in letzter Instanz entscheidet, ob ein Mitgliedsland gegen WTO-Regeln verstoßen hat. Die USA begründen ihre Blockade u. a. mit Bedenken hinsichtlich richterlicher Kompetenzüberschreitungen, insbesondere im Bereich von Anti-Dumping-Maßnahmen. Infolge der Blockade ist die Streitschlichtungsinstanz seit 2019 beschlussunfähig und anhängige Verfahren liegen auf Eis. 

Aufgrund der zentralen Bedeutung einer funktionsfähigen Streitschlichtung hat sich die Europäische Union mit 19 weiteren WTO-Mitgliedern (u. a. Brasilien, Kanada, China, Mexiko, Hongkong, Singapur, Schweiz) als Übergangslösung auf die Einrichtung einer zweiten Instanz für Handelsstreitigkeiten geeinigt. Allerdings können Handelskonflikte mit den USA hier derzeit nicht verhandelt und gelöst werden.

Unter dem neue US-Präsidenten Joe Biden ist insgesamt wieder mehr Multilateralismus zu erwarten. Biden hat zwar signalisiert, die Nachbesetzung der Berufungskammer weiter blockieren zu wollen. Er dürfte aber Vorschlägen zur Reform des Streitschlichtungsverfahrens offener gegenüberstehen als die letzte US-Regierung und bestrebt sein, die WTO wieder handlungsfähig zu machen. So hat die neue US-Regierung die zuvor blockierte Wahl von Ngozi Okonjo-Iweala zur neue Generaldirektorin der WTO (seit März 2021) ermöglicht. Auch scheint der zuvor angedachte Ausstieg der USA aus der WTO vom Tisch zu sein. Eine Reform der WTO ist aber weiterhin nicht absehbar – zu vielschichtig und unterschiedlich sind die Interessenslagen der 164 Mitglieder.

Regionale Handelsabkommen

In den vergangenen Jahren wurden mehrere regionale Handelsabkommen angebahnt bzw. geschlossen, die aufgrund der Größe der daran beteiligten Märkte sowie der Einbindung von Ländern, die eine bedeutende Rolle in globalen Wertschöpfungsketten einnehmen, den weltweiten Handel nachhaltig beeinflussen dürften.

Regionale Handelsabkommen im pazifischen und asiatischen Raum: TPP und RCEP

Mit dem Amtsantritt Donald Trumps Anfang 2017 sind die USA aus dem Handelsabkommen mit Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam ausgestiegen (Trans-Pacific Partnership, TPP). Diese Staaten, in denen etwa 480 Millionen Menschen leben, haben daraufhin ein eigenes Handelsabkommen vereinbart (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership, CPTPP). Anfang 2021 hat das Vereinigte Königreich den Beitritt zum CPTPP beantragt.

Der Ausstieg der USA aus dem TPP-Abkommen hinterließ ein Machtvakuum, das China genutzt hat, um sich mit einigen ehemaligen TPP-Staaten und weiteren Ländern zur größten Freihandelszone der Welt zusammenzuschließen. Die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) wurde im November 2020 von den zehn südostasiatischen Ländern der Staatengemeinschaft ASEAN sowie von China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland unterzeichnet und deckt nun einen Markt mit rund 2,2 Milliarden Menschen ab. Zusammen haben die 15 Mitglieder einen Anteil von fast 30 Prozent am Welthandel, an der Weltwirtschaftsleistung und an der Weltbevölkerung. Das Abkommen dürfte Handels­umlenkungs­effekte zur Folge haben, nämlich mehr Handel zwischen den RCEP-Staaten untereinander zulasten ihrer bisher starken Verflechtungen mit den USA und Indien. Zwar sind die RCEP-Staaten auch für die Europäische Union und Deutschland wichtige Handelspartner, aber anders als die USA verfügt die Europäische Union bereits über Freihandelsabkommen mit Japan und Südkorea – den zwei für sie wichtigsten RCEP-Handelspartnern nach China.

Wichtige Handelsabkommen asiatischer Staaten, eigene Darstellung

Regionales Handelsabkommen in Afrika: AfCFTA

Auch in Afrika entsteht derzeit eine sehr große Freihandelszone, die rund 1,3 Milliarden Menschen umfassen wird: das African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA). Der Vertrag zur Schaffung der pan-afrikanischen Freihandelszone wurde von allen afrikanischen Staaten (außer Eritrea) unterzeichnet und bislang von 30 der 54 Unterzeichnerstaaten ratifiziert.

Regionale Handelsabkommen der Europäischen Union

Die Europäische Union hat in der letzten Dekade einige neue Freihandelsabkommen erarbeitet, bspw. mit dem Vereinigten Königreich, Kanada, Singapur, Südkorea, Vietnam und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Die Ratifizierung der Abkommen steht teilweise noch aus. Das Abkommen mit Mercosur wird angesichts unzureichender Kompatibilität mit den EU-Klima- und Umweltstandards grundsätzlich infrage gestellt. Zudem laufen auf EU-Ebene derzeit Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland. 

Die Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA wurden bei Amtsantritt von Donald Trump Anfang 2017 unterbrochen und bisher nicht wieder aufgenommen. Mit China hat die Europäische Union zum Jahresende 2020 ein Investitionsabkommen geschlossen, das grundlegende Regeln zu Investitionsschutz und Marktzugang festlegt. Ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Wirtschaftsräumen scheint aber noch in weiter Ferne, nicht zuletzt aufgrund des ungenügenden Schutzes der Menschenrechte in China.

Entwicklung und Fortgang der Globalisierung

Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse

Gemessen am Volumen der weltweit gehandelten Güter und Dienstleitungen ist die Globalisierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs stetig vorangeschritten. Ein wesentlicher Treiber war und ist der deutliche Abbau von Handelshemmnissen (vor allem Zöllen). 

Allerdings werden seit einigen Jahren protektionistische Maßnahmen deutlich zahlreicher, die die Globalisierung ins Stocken bringen. Da der Spielraum für Zollerhöhungen häufig durch Handelsabkommen begrenzt ist, werden zunehmend nichttarifäre Handelshemmnisse eingesetzt, vor allem Anti-Dumping-Maßnahmen und Regulierungen. Sie sind intransparenter und schwerer zu verhandeln als Zölle, da Zugeständnisse kaum in monetäre Werte umgerechnet werden können.

Protektionistische Tendenzen und Handelsstreitigkeiten

Ein Auslöser der protektionistischen Tendenzen vieler Länder war die Finanzkrise im Jahr 2009. In Krisen versuchen Staaten oftmals, heimische Unternehmen durch Maßnahmen zu unterstützen, die den internationalen Wettbewerb in der kurzen bis mittleren Frist verzerren. Sind solche Maßnahmen erst einmal eingeführt, bleiben sie jedoch häufig nach Krisenende bestehen. Auch in der gegenwärtigen Corona-Krise nehmen protektionistische Bestrebungen zu. Die WTO listete Anfang Mai 2021 weltweit 195 Corona-bedingte Handelshemmnisse (sowie 173 handelsfördernde Maßnahmen wie vorübergehende Ausnahmen von Importauflagen für bestimmte Medizinprodukte). 

Die Präsidentschaft Donald Trumps war von offenen Handelsstreitigkeiten der USA insbesondere mit China und auch der Europäischen Union geprägt. Seit der Amtsübernahme Joe Bidens hat sich – zumindest im Ton, bislang weniger in der Sache – dieser Konfrontationskurs abgeschwächt. Gleichwohl bieten die Handelsbeziehungen zwischen den drei größten Handelsblöcken der Welt – USA, China und Europäische Union – weiterhin Konfliktpotenzial.

Auswirkungen der Digitalisierung

Infolge der zunehmenden Digitalisierung, die in der aktuellen Corona-Krise in vielen Bereichen vorangetrieben wird, dürfte der Handel mit digitalen Dienstleistungen weiter an Bedeutung gewinnen. Noch behindern neben protektionistischen Maßnahmen vor allem Sprachbarrieren den Dienstleistungshandel. Durch Fortschritte in der KI ist jedoch zu erwarten, dass die Sprachbarrieren in naher Zukunft in vielen Bereichen abgebaut werden können. Damit könnte der Dienstleistungshandel in den kommenden Jahren ein nie dagewesenes Volumen erreichen und die Entwicklungen des Warenhandels der vergangenen Jahrzehnte in den Schatten stellen. Jedoch ist noch nicht absehbar, wie sich die Staaten dazu (zollrechtlich) verhalten und wie sich etwaige Globalisierungsgewinne auf die einzelnen Länder verteilen werden. Zudem steht der digitale Dienstleistungshandel vor einem Mess- bzw. Erfassungsproblem, da hier keine physischen Güter transportiert werden, die Unternehmen über keine physische Unternehmenspräsenz in Ländern ihrer wirtschaftlichen Aktivität verfügen müssen und die Nutzung von (leicht skalierbaren) digitaler Dienstleitungen oftmals unentgeltlich oder kostengünstig ist, sodass Zahlungen unterhalb der für die Erfassung relevanten Bagatellgrenze liegen.

Künftige Entwicklungen und Einflussfaktoren

Zukünftig wird die Klimapolitik den globalen Handel verstärkt beeinflussen, wenn bspw. klimapolitische Instrumente wie ein CO2-Grenzausgleich von Handelspartnern als protektionistische Maßnahmen angesehen wird und Gegenmaßnahmen provoziert. Möglich ist auch, dass infolge der Nutzung neuer Technologien (z. B. Automatisierungsmöglichkeiten, additive Fertigung) sowie zur Stärkung der Resilienz der heimischen Volkswirtschaften zuvor ausgelagerte Produktionsprozesse teilweise wieder ins eigene Land zurückgeholt und damit internationale Handelsaktivitäten reduziert werden.

Der Handel in Europa dürfte noch einige Zeit von den Unsicherheiten und den erforderlichen Anpassungen infolge des Brexits geprägt sein. Außerdem wird der Handel im europäischen Binnenmarkt voraussichtlich gegenüber dem Handel mit Drittstaaten weiter an relativer Bedeutung verlieren. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der globale Handel künftig weiter an Dynamik verliert. Eine Deglobalisierung ist jedoch nicht zu erwarten.

Klimawandel und Klimaschutz
weiterlesen