Spotlight Deutschland

In der langen Frist

Die Perspektiven der deutschen Wirtschaft bis 2040

Einflussfaktoren des Wirtschaftswachstums

Das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft ist das Resultat einer Vielzahl ökonomischer, sozialer und politischer Prozesse, die sich oftmals wechselseitig bedingen. Im Falle Deutschlands ist die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Dekaden durch die Megatrends Demografie (zum Artikel), Digitalisierung (zum Artikel), Globalisierung (zum Artikel) und Klimawandel (zum Artikel) geprägt. Im Ergebnis wächst das reale BIP in Deutschland zwischen den Jahren 2019 und 2040 um durchschnittlich 1,1 Prozent pro Jahr. Je Einwohner*in und in absoluten Größen entspricht dies einem Zuwachs in Höhe von rund 11.000 Euro.

Arbeitsvolumen und Kapitalstock einkommensanteilsgewichtet

Arbeit, Kapital und technischer Fortschritt

Für analytische Zwecke kann das Wirtschaftswachstum – vereinfacht – als das Resultat eines einzigen sich im Zeitverlauf verändernden Produktionsprozesses betrachtet werden: Mithilfe zweier Inputfaktoren – dem erbrachten Arbeitsvolumen und dem Kapitalstock (Maschinen, Gebäude etc.) – wird bei einem kurzfristig gegebenen technischen Niveau ein entsprechender Output (das BIP) erzeugt. Die Wirtschaft wächst dann, wenn sich ihre technische Leistungsfähigkeit erhöht und/oder mehr Inputfaktoren im Produktionsprozess eingesetzt werden.

Für das Wachstum der deutschen Volkswirtschaft war bzw. ist sowohl in der Vergangenheit als auch in den kommenden Dekaden der technische Fortschritt entscheidend. Der Kapitalstock leistet bis zum Jahr 2040 einen geringfügig höheren Wachstumsbeitrag als in den letzten beiden Dekaden. Aufgrund des demografischen Wandels sinkt allerdings das Arbeitsvolumen und dämpft damit die Wachstumsdynamik insgesamt.

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Die Entwicklung des Arbeitsvolumens

Das Arbeitsvolumen ist die Anzahl an Arbeitsstunden, die von Erwerbstätigen insgesamt in einem Jahr erbracht wird. Aufgrund des Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (hier mit 15 bis 74 Jahre weit abgegrenzt) schrumpft das Arbeitsvolumen langfristig und wird im Jahr 2040 gut 2 Prozent unter dem Niveau des Jahres 2019 liegen. Zwischen den Jahren 2025 und 2035 ist dieser Prozess besonders ausgeprägt, da in diesem Zeitraum ein großer Teil der sogenannten Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1954 bis 1969) in das Rentenalter eintritt. Ausgehend vom Niveau des Arbeitsvolumens im Jahr 2019 reduziert es sich bei der isolierten Betrachtung des Rückgangs der Personen im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr 2040 um 6,4 Prozent.

Verschiedene Anpassungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt wirken dieser Entwicklung entgegen. In unserer Prognose unterstellen wir, dass die Politik auf den demografisch bedingten Rückgang des Arbeitsvolumens reagiert. Die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt verändern sich dahingehend, dass vor allem Frauen, ältere Personen und aktuell Teilzeitbeschäftigte ihr Arbeitsangebot ausweiten wollen und können.

Die Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung gibt die Erwerbsquote wieder: sie gibt an, welcher Teil der Bevölkerung erwerbstätig oder arbeitssuchend ist (Erwerbspersonen). Eine nähere Betrachtung verdeutlicht Unterschiede zwischen den Altersgruppen und den Geschlechtern: Männer weisen über alle Altersgruppen hinweg stets die höhere Erwerbsquote auf, und für beide Geschlechter steigt diese Quote mit dem Alter an, bevor sie gegen Ende des Erwerbslebens wieder abnimmt. Aufgrund der weiter steigenden Lebenserwartung und -arbeitszeit erwarten wir in den höheren Altersgruppen bei beiden Geschlechtern eine leichte Erhöhung der Erwerbsquoten. Auch bei den Frauen mittleren Alters nimmt die Erwerbsquote geringfügig zu, während bei den Männern dieser Altersgruppe das Erwerbspotenzial weitgehend ausgeschöpft ist. Obwohl die Erwerbsquoten über alle Alters- und Geschlechtsgruppen hinweg bis zum Jahr 2040 zunehmen, ist die Quote insgesamt im Durchschnitt rückläufig. Dieser sogenannte Kompositionseffekt resultiert aus dem zunehmenden Gewicht der höheren Altersgruppen mit ihren unterdurchschnittlichen Erwerbsquoten.
Die Erwerbstätigenquote entspricht dem Teil der Erwerbspersonen, welcher erwerbstätig ist. Die restlichen Erwerbspersonen sind entsprechend erwerbs- bzw. arbeitslos. Aufgrund der demografischen Verschiebungen wird Arbeitslosigkeit in den kommenden Dekaden kein Massenphänomen mehr sein. Eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit bleibt dennoch, da nachgefragte und angebotene Qualifikations- und Beschäftigungsprofile (temporär) auseinanderfallen können. Im Jahr 2040 wird die Erwerbslosenquote bei nur noch etwas über 2 Prozent liegen. Damit geht u. a. eine Stärkung der Verhandlungsposition der Beschäftigten insbesondere bei Tarifauseinandersetzungen einher.
Die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit in Deutschland (Arbeitsvolumen je Erwerbstätigen) liegt aktuell bei etwas unter 1.400 Stunden. Bei unterstellten 46 Arbeitswochen pro Jahr entspricht dies einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 30,1 Stunden. Die Differenzierung der Arbeitszeit nach Geschlecht und Alter zeigt ähnliche Unterschiede wie bezüglich der Erwerbsquoten: Die Arbeitszeit der Männer liegt in allen Altersgruppen über der der Frauen, und bei beiden Geschlechtern verlängern sich die Arbeitszeiten im Verlauf des Erwerbslebens, bevor sie gegen Ende kürzer werden. Im Prognosezeitraum erhöhen sich die Arbeitszeiten primär bei den Teilzeitbeschäftigten (Frauen und ältere Erwerbstätige) um bis zu zwei bis drei Stunden pro Woche. Im Durchschnitt wird die wöchentliche Arbeitszeit im Jahr 2030 31,4 Stunden (bei 46 Arbeitswochen p. a.) und die jährliche Arbeitszeit bei 1.445 Stunden liegen. Eine deutlich hierüber hinausgehende Erhöhung der Arbeitszeit halten wir für unrealistisch, da bei einem großen Teil der Beschäftigten die vorliegenden Präferenzen gegen eine Ausweitung der Arbeitszeit sprechen. Viele Erwerbstätige sind bereit, Lohnsteigerungen gegen eine Arbeitszeitverkürzung „einzutauschen“.

Zusammenspiel der Faktoren und Folgen

In den kommenden Dekaden konkurrieren Unternehmen verstärkt um Beschäftigte. Hierbei sind diejenigen Unternehmen im Vorteil, die relativ höhere Löhne und attraktive Arbeitsbedingungen anbieten können. Das Wachstumspotenzial von immer mehr Unternehmen und Branchen wird durch fehlende Arbeitskräfte limitiert. Auch das Auslandsgeschäft der deutschen Unternehmen wird hierdurch gedämpft. Insbesondere dort, wo die Nachfrage nach Arbeitskräften überdurchschnittlich steigt und die Möglichkeiten der Importsubstitution gering sind, verlängern sich die Arbeitszeiten in den betreffenden Branchen deutlich. Hierunter fallen vor allem die unternehmensnahen Dienstleistungen, das Gesundheitswesen, der Sozial- und Pflegebereich sowie Dienstleistungen in den Bereichen Freizeit, Kunst und Kultur. Aufseiten der Industriebranchen verzeichnen die Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten sowie die Pharmaindustrie die stärksten Anstiege der durchschnittlichen Arbeitszeit.

Die Entwicklung des Kapitalstocks

Die zweite wichtige Determinante des Wirtschaftswachstums ist der Kapitalstock. Er wächst, wenn die Bruttoanlageinvestitionen größer sind als die Abschreibungen. Der Kapitalstock wird im VIEW-Modell von Prognos in vierfacher Hinsicht differenziert: nach privaten Ausrüstungen und Anlagen, privaten Wohnbauten, privaten Nicht-Wohnbauten und dem Kapitalstock des Staates. Die jeweiligen Kapitalstöcke spielen unterschiedliche Rollen im Produktionsprozess.

Ausrüstungen und Produktionsanlagen wie z. B. Fahrzeuge, Laptops und Fließbänder sind unmittelbar Teil der Produktion und damit ein wichtiger Treiber für das Wirtschaftswachstum. Investitionen in Ausrüstungen und Anlagen werden typischerweise von Unternehmen getätigt, zu einem kleineren Teil vom Staat. Im Zuge der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung vieler Tätigkeiten wächst der Ausrüstungskapitalstock im Zeitraum von 2019 bis 2040 mit 1,4 Prozent pro Jahr schneller als die drei anderen Teile des Kapitalstocks. Gegenüber den vergangenen Dekaden schwächt sich diese Dynamik allerdings etwas ab, u. a. in Konsequenz der schrumpfenden Zahl an Erwerbstätigen. Zwar nehmen das Faktoreinsatzverhältnis – die Relation zwischen dem Wert des Kapitalstocks und den Erwerbstätigen – und damit auch der Grad der Automatisierung weiterhin zu. Maschinen und Anlagen werden jedoch nicht gekauft und installiert, wenn die für ihre Bedienung immer noch notwendigen Erwerbstätigen fehlen. Dieser Effekt zeigt sich insbesondere in vielen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes: Hier sinkt primär demografisch bedingt die Zahl der Erwerbstätigen bis zum Jahr 2040 teilweise deutlich, und in der Konsequenz schrumpft auch der entsprechende Kapitalstock (wenngleich in einem geringeren Maße als die Erwerbstätigenzahl). In den Branchen, die in besonderem Maße von der Digitalisierung profitieren, nehmen sowohl das Faktoreinsatzverhältnis als auch der Kapitalstock überdurchschnittlich stark zu. Dies betrifft u. a. Telekommunikationsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen sowie unternehmensnahe Dienstleistungen.

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Die Nicht-Wohnbauten wachsen mit 0,5 Prozent pro Jahr bis 2040 deutlich langsamer als die Ausrüstungen. Zu den Nicht-Wohnbauten gehören Fabriken, Lagerhallen und Bürogebäude, in welchen der „Produktionsprozess“ untergebracht ist. Das Faktoreinsatzverhältnis von Nicht-Wohnbauten zu den Erwerbstätigen verschiebt sich wie bei den Ausrüstungen in Richtung Kapital, wenngleich der Prozess hier langsamer verläuft. Die Unterschiede zwischen den Branchen fielen bzw. fallen hier sowohl in der Vergangenheit als auch bis zum Jahr 2040 deutlich geringer aus.

Die Wohnbauten machen zwar mit gut 40 Prozent (2019) den größten Teil des gesamten Kapitalstocks aus, sie sind jedoch für den eigentlichen Produktionsprozess nur von untergeordneter Bedeutung – wenngleich ihre Nutzung im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung über die tatsächlichen und unterstellten Mietzahlungen der privaten Haushalte in das BIP eingeht. Die Wohnbauten werden vor allem durch die Entwicklung der Bevölkerung und ihrer Struktur sowie dem verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte und dem Zinsniveau getrieben. Der leichte Rückgang der Bevölkerung insgesamt dämpft entsprechend die Baudynamik, während die Alterung der Bevölkerung und der Trend hin zu kleineren Haushalten den Wohnflächenbedarf je Einwohner*in anheben. Zusätzlich positiv wirken die energetisch bedingten Gebäudesanierungen, welche bis zum Jahr 2040 deutlich ausgeweitet werden. Im Ergebnis wächst der Bestand an Wohnbauten im Zeitraum von 2019 bis 2040 um durchschnittlich 1,1 Prozent pro Jahr.

Der Kapitalstock des Staates beinhaltet u. a. die öffentliche Infrastruktur und ist somit indirekt für das Funktionieren des Produktionsprozesses relevant. In der Prognose folgt die Wachstumsdynamik des staatlichen Kapitalstocks mit jahresdurchschnittlich 1,0 Prozent näherungsweise derjenigen der aggregierten übrigen drei Bestandteile des Kapitalstocks. Leichte Abschläge auf die Dynamik resultieren aus dem fiskalischen Regelwerk der Schuldenbremse, welche auf öffentliche Investitionen tendenziell dämpfend wirkt.

Die Entwicklung des technischen Fortschritts

Der technische Fortschritt ist das Maß dafür, wie die Wertschöpfung gesteigert werden kann, ohne mehr Produktionsfaktoren einsetzen zu müssen. Für Deutschland, wo bereits sehr kapitalintensiv produziert wird und das sich mit einer künftig rückläufigen Anzahl von Erwerbstätigen konfrontiert sieht, ist technischer Fortschritt letztlich die einzige Wachstumsquelle: Ohne technischen Fortschritt würde die deutsche Volkswirtschaft in den kommenden Dekaden schrumpfen. Er kann auf verschiedene Weise näherungsweise statistisch abgebildet werden. Am unmittelbarsten lässt sich technischer Fortschritt als Veränderung der Arbeitsproduktivität ausdrücken, die definiert ist als die Bruttowertschöpfung im Verhältnis zum aufgebrachten Arbeitsvolumen. Ein weiteres gängiges Maß für technischen Fortschritt ist die Totale Faktorproduktivität. Sie ist die Restgröße, wenn man von der Veränderung der Bruttowertschöpfung die Beiträge steigenden Kapitaleinsatzes und steigenden Arbeitseinsatzes abzieht. Liegt die Veränderungsrate der Arbeitsproduktivität über der der Totalen Faktorproduktivität, spiegelt dies eine gestiegene Kapitalintensität in der Produktion. Das ist empirisch für Deutschland die Regel. Da die kurzfristigen Veränderungen beider Kenngrößen zu einem unbekannten Teil statistische Artefakte (u. a. Auslastungsschwankungen) darstellen, sollten sie als Approximation für den technischen Fortschritt nur in der längerfristigen Betrachtung verwendet werden.

Der technische Fortschritt und die für seine Dynamik zunehmend bedeutendere Digitalisierung wird hier (zum Artikel) ausführlich diskutiert. Die Anstrengungen des Bereichs Forschung und Entwicklung zielen im Kern darauf ab, die Effizienz in der Produktion allgemein zu steigern: Mittels neuer Technologien soll mit einem geringeren Einsatz von Ressourcen (z. B. Arbeitsvolumen, Energie, Materialien) der gleiche respektive mit dem gleichen Ressourceneinsatz ein höherer Output erzeugt werden. In diesem Sinne bessere Maschinen und Technologien müssen jedoch nicht nur zur Verfügung stehen, sondern auch breit im Produktionsprozess eingesetzt werden. Ansonsten kann sich der technische Fortschritt nicht in der Produktion realisieren. Diese vermeintlich banale Erkenntnis lenkt gleichwohl den Blick darauf, dass der Weg von der Invention zur Diffusion oftmals langwierig ist und sich keineswegs „automatisch“ vollzieht. Eine geringe Investitionstätigkeit der Unternehmen etwa infolge eines negativen Nachfrageschocks und eine damit einhergehende langsame Erneuerung des Kapitalstocks bremsen in der Konsequenz den technischen Fortschritt. Die Investitionen spielen aufgrund ihres Doppelcharakters – als Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und als „Materialisation“ des technischen Fortschritts – eine zentrale Rolle für das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft.

Unserer Prognose zufolge werden in der gesamten deutschen Volkswirtschaft zwischen 2019 und 2040 die Arbeitsproduktivität und die Totale Faktorproduktivität mit durchschnittlich 1,2 bzw. 0,7 Prozent pro Jahr wachsen. Die Differenz zwischen beiden Veränderungsraten resultiert aus der Erhöhung des Faktoreinsatzverhältnisses in Richtung Kapitalstock. Da einige Dienstleistungssektoren mit einem unterdurchschnittlichen Produktivitätsniveau gesamtwirtschaftlich an Gewicht gewinnen, wird durch den daraus resultierenden Kompositionseffekt die Produktivitätsdynamik im Durchschnitt gedämpft. Der in Deutschland und den meisten anderen Industrieländern zu beobachtende Trend einer langfristig abnehmenden Produktivitätsdynamik setzt sich im Prognosezeitraum nicht fort, wenngleich die Zuwächse in der historischen Perspektive auf einem niedrigen Niveau verbleiben. Die Wende im Wachstumstrend ist zum einen Resultat der Digitalisierung, deren Anwendungen in immer mehr Produktionsprozesse Einzug halten. Zum anderen zwingt die in Zukunft abnehmende Zahl an Erwerbspersonen die Unternehmen über Kostenkalkulationen hinaus, den Produktionsprozess so arbeitssparend wie möglich zu gestalten.

Einkommens- und Preisdynamik

Der Stundenlohn ist neben der Arbeitsproduktivität eine wichtige Bestimmungsgröße für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die Relation aus beiden Größen bilden die Lohnstückkosten, welche in vielen Branchen als eine wichtige Bezugsgröße für die Festsetzung der Stückpreise dienen. Die Veränderung des (nominalen) Stundenlohns ist Gegenstand von Tarifverhandlungen. Liegen die Tarifabschlüsse unter dem Zuwachs der (trendmäßigen) Arbeitsproduktivität zuzüglich der Inflationsrate, so verschiebt sich die primäre Einkommensverteilung in Richtung der Unternehmensgewinne und die Lohnquote sinkt (Anteil der Lohnsumme am BIP). In Deutschland wurde dieser „Verteilungsspielraum“ in den letzten Dekaden oft nicht ausgeschöpft, sodass in der Konsequenz die Lohnquote sank und sich die relative preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, zumindest bezogen auf die Lohnkosten, verbesserte.

Für den Zeitraum bis zum Jahr 2040 erwarten wir in Deutschland insgesamt eine Beschleunigung der (nominalen) Lohndynamik auf 3,3 Prozent pro Jahr. Zwischen den Jahren 2000 bis 2019 lag die durchschnittliche Zuwachsrate bei 2,4 Prozent. Da der Verteilungsspielraum stärker ausgeschöpft wird, erhöht sich die Lohnquote geringfügig um 3 Prozentpunkte und wird im Jahr 2040 bei 56 Prozent liegen. Den Beschäftigten kommt hier ihre demografisch bedingt bessere Verhandlungsposition bei Tarifverhandlungen zugute. Aufgrund der demografischen Veränderungen erhöhen sich zudem die an die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung zu entrichtenden Sozialbeiträge, wodurch die Lohnkosten aus Sicht der Unternehmen eine zusätzliche Dynamik erfahren. Die Inflationsrate für den privaten Konsum liegt im Zeitraum 2019 bis 2040 bei 2 Prozent und damit etwa 0,7 Prozentpunkte höher als in den beiden Dekaden zuvor. Die deflationierten Lohnzuwächse bis zum Jahr 2040 fallen entsprechend etwas höher aus als in der Vergangenheit.

Aufseiten der Einkommen der privaten Haushalte verzeichnen die Transfereinkommen gefolgt von den Lohneinkommen die höchsten Zuwächse, während die Gewinn- und Vermögenseinkommen anteilig verlieren. Da Haushalte, deren Einkommen sich primär aus Gewinnen und Vermögen speist, eine überdurchschnittlich hohe Sparquote aufweisen, reduziert die Verschiebung in der Einkommensstruktur für sich genommen die durchschnittliche Sparquote der privaten Haushalte und stärkt den privaten Konsum.

Verwendung des BIP

In der verwendungsseitigen Betrachtung entspricht das BIP (vereinfacht) den Ausgaben, welche in einer Volkswirtschaft in einer Periode getätigt werden. Hierunter fallen die privaten und staatlichen Konsumausgaben sowie die Investitionen. Zusätzlich erhöhen die Exporte das BIP, während die Importe in Abzug gebracht werden.

Private Konsumausgaben

Die Konsumausgaben der privaten Haushalte sind die bedeutendste Komponente der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in Deutschland. Aktuell (2019) machen sie 53,1 Prozent des BIP aus. Die Konsumausgaben werden bestimmt durch das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte sowie den haushaltsspezifischen Sparquoten. Bei Letzteren gilt (im Durchschnitt): Je relativ reicher, jünger und kleiner der Haushalt ist, desto höher ist die Sparquote. Die demografischen und soziostrukturellen Veränderungen bis zum Jahr 2040 führen in der Summe dazu, dass die aggregierte Sparquote der privaten Haushalte in Deutschland nach 2025 tendenziell sinkt. Am aktuellen Rand liegt die Sparquote hingegen als Ausdruck des Corona-bedingten Konjunktureinbruchs deutlich über dem Trendniveau und es wird einige Jahre dauern, bis hier wieder das Vorkrisenniveau erreicht wird. Da die verfügbaren Einkommen mit einem geringeren Tempo als das BIP steigen, sinkt der Anteil des privaten Konsums am BIP auf 52,3 Prozent im Jahr 2040.
Bei den einzelnen Verwendungszwecken der privaten Konsumausgaben setzen sich die Trends der Vergangenheit bis zum Jahr 2040 im Wesentlichen fort: Ausgaben für Gesundheit, Nachrichtenübermittlung und Bildungsausgaben gewinnen anteilig, während insbesondere Ausgaben für Alkohol und Tabak sowie für Bekleidung und Schuhe nur unterdurchschnittlich steigen. Absolut betrachtet bleiben die Verwendungszwecke Wohnen, Verkehr und Freizeit/Unterhaltung die bedeutendsten Ausgabenpositionen der privaten Haushalte.

Staatlicher Konsum

Die staatlichen Konsumausgaben bestehen zu einem großen Teil aus Personalausgaben für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie sozialen Sachleistungen. Somit ist diese Verwendungsposition des BIP deutlich weniger von konjunkturellen Schwankungen beeinflusst als die anderen. Ein langfristig wichtiger Treiber für den Staatskonsum ist der demografische Wandel, der allerdings gegenläufige Effekte hat: Der Rückgang der Bevölkerung im jungen und mittleren Alter dämpft die Nachfrage nach staatlichen Leistungen (wie etwa Bildungsausgaben) und reduziert somit auch für sich genommen die Anzahl der öffentlich Beschäftigten. Die absolute Zahl der Personen im höheren Alter nimmt jedoch bis zum Jahr 2040 zu und damit auch die Nachfrage nach staatlichen Leistungen in den Bereichen Gesundheit und Pflege (und Soziales). Insgesamt erwarten wir, dass der Anteil des Staatskonsums am BIP mit 20 Prozent im Jahr 2040 in etwa auf dem gleichen Niveau liegen wird wie 2019.

Investitionen

Die Investitionen teilen sich in Lagerveränderungen und Bruttoanlageinvestitionen auf. Liegen Letztere über den Abschreibungen, erhöht sich der entsprechende Kapitalstock (und vice versa). Die Aufteilung der Bruttoanlageinvestitionen im VIEW-Modell entspricht der des Kapitalstocks (Ausrüstungen und Anlagen, Nicht-Wohnbauten, Wohnbauten, staatliche Investitionen). Die Dynamik der jeweiligen Investitionsgüter folgt derjenigen der entsprechenden Kapitalstöcke: Ausrüstungen und Anlagen gewinnen anteilig, während vor allem die Wohnbauinvestitionen unterdurchschnittlich zunehmen. Die Bruttoanlageinvestitionen machen aktuell etwa ein Fünftel des BIP aus; dieser Anteil verändert sich nur unwesentlich bis zum Jahr 2040.

Ex- und Importe

Die deutsche Volkswirtschaft ist stark mit dem Ausland verwoben: Die Exportquote (Exporte in Relation zum BIP) liegt aktuell bei knapp 50 Prozent und die Importquote bei etwas über 40 Prozent. Für ein Industrieland dieser Größe sind dies auffällig hohe Werte. Bemerkenswert im internationalen Vergleich ist ebenfalls der anhaltend hohe Exportüberschuss der deutschen Volkswirtschaft, welcher aktuell knapp 6 Prozent des BIP beträgt. Die Dienstleistungsexporte nahmen zwischen 2000 und 2019 mit 5 Prozent p. a. spürbar schneller zu als die Güterexporte (4 % p. a.). Sie machen aber weiterhin nur 9 Prozent der gesamten Exporte aus. Auch wenn sich Dienstleistungsunternehmen auf den Binnenmarkt konzentrieren, profitieren sie indirekt vom deutschen Außenhandel, sofern sie ihre Dienstleistungen exportorientierten (Industrie-)Unternehmen verkaufen.
Nach der Überwindung der Coronakrise erwarten wir mittel- und langfristig eine Verlangsamung der Globalisierungsdynamik und somit auch ein geringeres Wachstum der deutschen Exporte als in der Vergangenheit. Hierüber hinaus verlieren deutsche Unternehmen im Durchschnitt Weltmarktanteile, da sie durch den demografischen Wandel angebotsseitig limitiert werden. Unserer Prognose zufolge steigen die deutschen Exporte mit durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr bis zum Jahr 2040 und damit weniger als halb so schnell wie in den letzten beiden Dekaden. Allein die drei Industriebranchen DV-Geräte, elektronische und optische Erzeugnisse, Maschinenbau sowie Kraftwagen/-teile tragen gut die Hälfte der gesamten Exportsteigerung (wenngleich ihre jeweiligen Zuwachsraten teilweise deutlich unter den Werten der letzten beiden Dekaden liegen).

Deutsche Leistungsbilanz verringert sich

Vor allem die demografisch bedingt zunehmenden Kapazitätsengpässe der deutschen Unternehmen sorgen für eine Annäherung der Zuwachsraten der Importe an die der Exporte bis zum Jahr 2040. In der Konsequenz steigt der Exportüberschuss in Relation zum BIP kaum weiter an und wird im Jahr 2040 bei etwas über 6 Prozent liegen. Für die internationalen Zahlungsströme respektive die Veränderung der Nettovermögens­position einer Volkswirtschaft ist die Leistungsbilanz die entscheidende Kenngröße. Da die Preise für Importe nach Deutschland etwas stärker steigen als die der deutschen Exporte, verringert sich die Leistungsbilanz in Relation zum BIP von aktuell 7,3 auf 5,7 Prozent am Ende des Prognosezeitraums.

Prognos Weltwirtschaftsmodell VIEW

Prognos verfügt mit VIEW über ein globales Prognose- und Simulationsmodell, welches 125 Länder und damit 98 Prozent der aktuellen globalen Wirtschaftsleistung abdeckt.

VIEW ermöglicht detaillierte und konsistente Prognosen der zukünftigen weltwirtschaftlichen Entwicklungen. Interaktionen und Rückkopplungen zwischen den einzelnen Volkswirtschaften werden in VIEW explizit erfasst und modelliert. Die analytische Aussagekraft des Modells geht damit weit über die isolierter Ländermodelle mit exogen vorgegebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus. VIEW arbeitet auf Basis von Jahresdaten, aktuell können Projektionen bis zum Jahr 2060 erstellt werden.


Die bayerische Wirtschaft bis 2040
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