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Russland

Wirtschaftspolitik

Über 20 Jahre nach dem Amtsantritt Wladimir Putins fällt die wirtschaftspolitische Bilanz des russischen Präsidenten gemischt aus. Die ökonomische Stabilisierung durch erfolgreichen Schuldenabbau, hohe Währungsreserven und zuletzt die Eindämmung starker Preissteigerungen steht einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Dynamik, mangelnden Strukturreformen und einem ungünstigen Geschäfts- und Investitionsklima gegenüber. Hinzu kommen die seit dem Jahr 2014 geltenden Sanktionen der Europäischen Union und der USA infolge der Krim-Annexion. Russland zählt zu den wichtigsten Rohstoffexporteuren der Welt. Wirtschaft, Außenhandel, Staatsfinanzen und Wechselkurs der flächenmäßig größten Volkswirtschaft der Erde sind eng verflochten mit der globalen Nachfrage nach Erdöl, Erdgas, Kohle und Metallen.

Demografie und Arbeitsmarkt

Die Bevölkerungszahl Russlands sinkt ab dem Jahr 2021. Zwar ist die Geburtenrate in den vergangenen Jahren wieder auf heute 1,7 Kinder je Frau gestiegen. Bei gleichzeitig rückläufiger Nettozuwanderung lässt sich der Bevölkerungsschwund damit jedoch bei Weitem nicht ausgleichen. Russlands Bevölkerung schrumpft von 146 Millionen (2020) auf 139 Millionen Menschen (2040). Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verläuft die Alterung der Gesellschaft moderat. Das liegt an der relativ geringen Lebenserwartung gerade von russischen Männern. Im Zuge des demografischen Wandels sinkt auch die Zahl der Erwerbspersonen. Weil dadurch der Druck auf den Arbeitsmarkt steigt, rechnen wir mit einem Rückgang der Erwerbslosenquote auf sehr niedrige 1,9 Prozent im Jahr 2040 (2020: 4,2 %). Nicht erfasst ist dabei Russlands informeller Sektor, der aktuell schätzungsweise 20 Prozent der Arbeitskräfte beschäftigt.

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung

Im Zeitraum von 2010 bis 2020 wuchs Russlands Wirtschaft um durchschnittlich 3 Prozent p. a. COVID-19 hat auch Russland schwer getroffen. Privater Konsum und Industrieproduktion sind eingebrochen, sinkender Ölpreis und reduzierte Ölnachfrage haben zu einer Abwertung des Rubels und einer Schieflage im Staatshaushalt geführt. Nach Überwindung der Pandemie erwarten wir ein moderates Wirtschaftswachstum von jahresdurchschnittlich 1,4 Prozent bis zum Jahr 2040. Strukturelle Probleme wie die hohe Abhängigkeit der russischen Wirtschaft von Öl und Gas, ein sinkendes Erwerbspersonenpotenzial und die teils ineffiziente Allokation ökonomischer Ressourcen infolge des vergleichsweise kleinen privatwirtschaftlichen Sektors dämpfen die Wachstumsaussichten langfristig.

Konsum, Investitionen und Außenbeitrag

Verwendungsseitig getragen wird das Wachstum bis zum Jahr 2040 besonders vom privaten (74 %) und staatlichen Konsum (21 %). Staatliche Investitionen leisten nur einen sehr geringen Wachstumsbeitrag (8 %), obwohl grundsätzlich ein hoher Investitionsbedarf besteht, etwa im Bereich Öl- und Gasgewinnung oder bei Stromerzeugungsanlagen, um den Stromverbrauch im Inland bedienen zu können. Da die Importe künftig stärker steigen als die Exporte, leistet der Außenhandel einen negativen Wachstumsbeitrag.

Wirtschaftsstruktur

Mit zuletzt sinkenden Bruttowertschöpfungsanteilen der Landwirtschaft von heute knapp 4 Prozent und des produzierenden Gewerbes (inkl. Bau) von 39 Prozent befindet sich die Volkswirtschaft in einem Transformationsprozess hin zu der einer dienstleistungsorientierten Industrienation. Der primäre und der sekundäre Sektor verlieren in den nächsten 20 Jahren weiter an Bedeutung, vor allem, weil der Strukturwandel in der Industrie – ähnlich wie in vielen anderen Ländern – die Nachfrage nach produktionsnahen Dienstleistungen ankurbelt. In diesem Zuge wird der Dienstleistungssektor langfristig überdurchschnittlich wachsen und im Jahr 2040 rund 62 Prozent zur russischen Bruttowertschöpfung beitragen (2020: 57 %).

Branchenentwicklung

Trotz Strukturwandel und globaler Klimaschutz-Anstrengungen bleibt der Bergbau und damit die Gewinnung von Erdöl und Erdgas wichtig. Gleichwohl sinkt dessen Bruttowertschöpfungsanteil in Russland von 9 Prozent (2020) auf 6 Prozent (2040). Zwar erhöht der geplante Verzicht auf fossile Energieträger weltweit den Druck auf die russische Wirtschaft hin zu einer stärkeren Diversifizierung. Wir erwarten allerdings nicht, dass Russland sich in den kommenden Jahren aus seiner Ressourcenabhängigkeit wird befreien können. Bei der Automatisierung und Digitalisierung der Industrieproduktion besteht großer Nachholbedarf, den das Land u. a. unterstützt von russisch-deutschen Kooperationsprojekten reduzieren will. Die zunehmende Modernisierung und Digitalisierung der Wirtschaft schlagen sich u. a. nieder in überdurchschnittlichen Zuwächsen in der IKT-Branche, den unternehmensnahen Dienstleistungen und dem Bereich DV-Geräte, Elektronik, Optik.

Produktivitäts- und Lohndynamik

Mangelnde Diversifizierung der Wirtschaft und ein in vielen Bereichen dominanter öffentlicher Sektor dämpften in der letzten Dekade die Produktivitätsentwicklung. Gleichzeitig ließen die Verknappung des Arbeitskräfteangebots im Zuge des demografischen Wandels und teils zweistellige Inflationsraten die Nominallöhne steigen. Die Modernisierung technischer Anlagen kann die Produktivität langfristig steigern. Wir rechnen mit einem Anstieg der Stundenproduktivität von 1,7 Prozent p. a. bis zum Jahr 2040. Künftig nimmt wegen der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung der Druck auf die Löhne bei im Vergleich zu den Vorjahren niedrigen Inflationsraten zwischen 3 und 4 Prozent zu. Das fördert den privaten Konsum, schwächt aber Russlands preisliche Wettbewerbsfähigkeit.

Außenhandel

Russlands Exportentwicklung hängt nicht nur von den Lohnstückkosten, sondern besonders von den internationalen Rohstoffmärkten ab. Über die Hälfte der russischen Exporte entfallen derzeit auf das Erdöl- und Erdgasgeschäft, das von der weltweiten Abkehr von fossilen Brennstoffen künftig negativ betroffen sein dürfte. Im Jahr 2020 verzeichnete das Land trotz globaler Produktionseinbrüche infolge der Pandemie einen komfortablen Handelsbilanzüberschuss von 12 Prozent der Wirtschaftsleistung, der langfristig leicht sinkt. Denn die Exporte legen mit durchschnittlich 1,3 Prozent p. a. spürbar langsamer zu als die Importe (1,9 % p. a.). Auch der Großteil der russischen Warenexporte nach Deutschland entfällt auf natürliche Ressourcen. Deutschland ist Russlands viertgrößter Exportmarkt und zweitgrößter Lieferant von Importgütern. Deutschlands Anteil an den russischen Ex- und Importen ist zuletzt leicht gesunken. Diese Entwicklung setzt sich bis zum Jahr 2040 fort. Im Ranking der wichtigsten Exportmärkte Russlands wird Deutschland langfristig von Indien auf Platz fünf verdrängt.

Institutionelle Rahmenbedingungen

Korruption und starker staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft zählen zu den größten Hemmnissen für ausländische Unternehmen, in Russland Fuß zu fassen. Im Corruption Perceptions Index von Transparency International fiel Russland in den letzten Jahren zurück und belegte im Jahr 2020 gemeinsam mit Malawi und Mali Platz 129 von 180 Ländern. Hinzu kommen wirtschaftliche Unsicherheiten – u. a. angesichts des volatilen Rubel-Wechselkurses – und für europäische Unternehmen die Sanktionen der Europäischen Union, die die Expansion in den großen russischen Markt erschweren.

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