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Niederlande

Wirtschaftspolitik

Bei den Wahlen im März 2021 wurde erneut die rechtsliberale VVD-Partei um Premierminister Mark Rutte stärkste Kraft. Seit dem Jahr 2010 steht Rutte nun an der Spitze der niederländischen Regierung, seine Politik gilt als wirtschaftsfreundlich. Trotz der unter seiner Führung positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind das Bildungs- und Gesundheitssystem reformbedürftig und die Mietpreise steigen ebenso wie die Einkommensungleichheit. Vor diesem Hintergrund plant die neue VVD-geführte Regierung für niederländische Verhältnisse ungewöhnlich starke Eingriffe in die Wirtschaft. Im Gespräch sind u. a. die Erhöhung des Mindestlohns sowie Steuersenkungen für Privathaushalte.

Demografie und Arbeitsmarkt

Derzeit leben rund 17 Millionen Menschen in den Niederlanden. Das Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahre hält bis Anfang der 2030er-Jahre an, bevor es zum Ende des Prognosezeitraumes wegen des demografischen Wandels stagniert. Die Alterung der niederländischen Bevölkerung bewirkt allerdings, dass die Gruppe der 15- bis 64-Jährigen langfristig von 11 Millionen auf 10 Millionen Menschen schrumpft. Dies verschärft den Fachkräftemangel weiter, der angesichts der Diskrepanz zwischen bestehenden und geforderten Qualifikationen der Erwerbstätigen schon heute den niederländischen Arbeitsmarkt prägt. Die Erwerbslosenquote war in den letzten Jahre stark gesunken und lag im Jahr 2019 bei 3,2 Prozent. Trotz eines pandemiebedingten Anstieges der Erwerbslosenquote im Jahr 2020 sinkt die Zahl der Arbeitsuchenden langfristig weiter. Im Jahr 2040 wird die Quote voraussichtlich bei sehr niedrigen 1,9 Prozent liegen.

Gesamtwirtschaftliche Entwicklung

In den vergangenen Jahren verzeichnete die niederländische Volkswirtschaft stabile Wachstumsraten von rund 2 Prozent p. a. Als Handelsnation wurde sie vom pandemiebedingten Einbruch des Welthandels stark getroffen. Im Zuge der Überwindung der COVID-19-Pandemie und der Normalisierung der globalen Handelsströme rechnen wir mit einer schnellen wirtschaftlichen Erholung in den Niederlanden (Wachstumsrate 2021: 4 %). Langfristig nimmt die Wachstumsdynamik merklich ab, auch im Vergleich zu den Vorjahren. Denn sowohl vom internationalen Handel als auch von der Bevölkerungsentwicklung im Inland gehen künftig schwächere Wachstumsimpulse aus. Im Zeitraum von 2020 bis 2040 legt das niederländische BIP mit 1,5 Prozent im Jahresdurchschnitt zu und damit geringfügig stärker als das deutsche.

Konsum, Investitionen und Außenbeitrag

Der private Konsum hat für das niederländische Wirtschaftswachstum bislang eine relativ geringe Rolle gespielt – v. a. im Vergleich zu anderen Industrienationen mit einem größeren Binnenmarkt und dynamischerer Lohnentwicklung. Bis zum Jahr 2040 erwarten wir jedoch, dass auf den privaten Konsum mit 46 Prozent fast die Hälfte des langfristigen Wachstums entfallen wird. Diese strukturellen Verschiebungen ergeben sich u. a. aus der Arbeitsmarktentwicklung: Geringe Arbeitslosigkeit und Reallohnsteigerungen erhöhen künftig die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte und kurbeln damit auch ihren Konsum an. Gleichzeitig lässt die wachsende Inlandsnachfrage die Importe steigen, weshalb der Wachstumsbeitrag des Außenbeitrags bis zum Jahr 2040 mit 11 Prozent zwar weiterhin spürbar, aber nur noch knapp halb so groß ausfällt wie in den letzten 20 Jahren.

Wirtschaftsstruktur

Mit 77 Prozent wurde der Großteil der Bruttowertschöpfung im Jahr 2020 im Dienstleistungssektor generiert. Damit war der tertiäre Sektor in den Niederlanden so stark wie in kaum einem anderen Land in der Europäischen Union. Auf die Landwirtschaft entfiel mit 1,9 Prozent (2020) nur ein sehr geringer Anteil. Rund ein Fünftel der Bruttowertschöpfung wurde im produzierenden Gewerbe und dem Baugewerbe erwirtschaftet. In den kommenden Dekaden steigt der Anteil der Dienstleistungen im Zuge des Strukturwandels weiter an, während die Anteile der Landwirtschaft und des produzierenden Gewerbes schrumpfen.

Branchenentwicklung

Die Niederlande sind Europas bedeutendster Logistik-Hub, der Hafen von Rotterdam zählt zu den größten weltweit. Dementsprechend bilden die Branchen Handel, Verkehr und Lagerei zentrale Standbeine der niederländischen Wirtschaft. Der Handel (inkl. Reparatur von Kraftfahrzeugen) allein generiert mehr Bruttowertschöpfung (2020: 14 %) als die gesamte Industrie der Niederlande (2020: 12 %) und beschäftigt knapp ein Sechstel der Erwerbstätigen. Auch langfristig und trotz abflauender Globalisierungsdynamik kann der Handel seine starke Position halten und mit 1,3 Prozent p. a. bis zum Jahr 2040 fast so schnell wachsen wie die Gesamtwirtschaft. Die stärkste Industriebranche ist die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die zugleich sehr exportstark ist. Bis zum Jahr 2040 legt sie mit 1,1 Prozent p. a. allerdings unterdurchschnittlich zu. Aufgrund des demografischen Wandels sinken die Beschäftigtenzahlen bis zum Jahr 2040 in fast allen Branchen. Das gilt insbesondere für die Textil-, die Holz- und Papier- sowie die Glas- und Keramikindustrie.

Produktivitäts- und Lohndynamik

Im Durchschnitt verzeichneten die Niederlande in den letzten zehn Jahren keine nennenswerten Reallohnsteigerungen, was u. a. durch eine schwache Entwicklung der Stundenproduktivität bedingt war. Künftig lassen nicht nur steigende Produktivitätsgewinne, sondern auch das sinkende Erwerbspersonenpotenzial die nominalen wie auch die realen Löhne steigen. Denn der Fachkräftemangel erhöht den Druck auf die Löhne. Dies lässt gleichzeitig die Preise moderat steigen. Wir rechnen ab Ende der 2020er-Jahre bis 2040 mit jährlichen Inflationsraten zwischen 2,0 und 2,5 Prozent. Das Reallohnwachstum ermöglicht den privaten Haushalten mehr Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum ankurbelt.

Außenhandel

Die Volkswirtschaft der Niederlande ist stark vom Export abhängig und erwirtschaftet auch in den kommenden Dekaden einen deutlichen Exportüberschuss. Auch im Bereich der Importe setzt sich der positive Wachstumstrend bis zum Jahr 2040 fort, jedoch nicht ganz so dynamisch wie bisher. In der Außenhandelsstatistik sind allerdings auch in Rotterdam angelandete Waren erfasst, die als Re-Exporte in andere Länder weiterverschickt werden („Rotterdam-Effekt“). Das Haupthandelsgut der Niederlande ist Elektronik. Weiterhin werden in hohem Maße chemische Erzeugnisse importiert und Maschinen exportiert. Mit einem Anteil von 16,4 Prozent der Importe und 18,5 Prozent der Exporte ist Deutschland der Haupthandelspartner der Niederlande, vor Belgien, dem Vereinigten Königreich und den USA. China gehört zu den wichtigsten Lieferländern, spielt allerdings als Absatzmarkt eine geringere Rolle. In den kommenden Dekaden erwarten wir wenig Veränderung in der Handelspartnerstruktur der Niederlande. Der Großteil der Exporte geht mit rund 57 Prozent im Jahr 2040 auch langfristig in EU-Länder (2020: 60 %).

Institutionelle Rahmenbedingungen

Die Niederlande gelten als einer der Innovationsführer Europas. Die zentrale geografische Lage und die gut ausgebaute Infrastruktur mit großen Häfen wie Rotterdam und Amsterdam erhöhen die Attraktivität des Landes. Jedoch besteht zunehmender Fachkräftemangel. Zudem erschwert die zersplitterte Parteienlandschaft und die Suche nach breitem gesellschaftlichem Konsens die politische Entscheidungsfindung und verzögert damit die Verabschiedung von wichtigen wirtschaftspolitischen Reformen.

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