Weltwirtschaft im Fokus

Die lange Frist

Ära der Post-Globalisierung - die Entwicklung bis 2040

Wachstumsdynamik in der Prognose

In den kommenden beiden Jahrzehnten nähert sich die Stärke der Wachstumsdynamik der Gruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer derjenigen der Industrieländer allmählich an. Gleichwohl wachsen die Schwellenländer nach wir vor spürbar dynamischer. Im Durchschnitt legt die Wirtschaftsleistung der Industrieländer zwischen 2019 und 2030 um 1,8 Prozent p. a. zu – und damit ähnlich dynamisch wie zu Beginn des Jahrtausends. In den 2030er-Jahren sinkt dann die durchschnittliche Wachstumsrate auf 1,4 Prozent p. a. Dies zeigt zum einen, dass die Coronakrise 2020 zu weniger starken wirtschaftlichen Verwerfungen geführt hat als die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09; insbesondere in zahlreichen europäischen Ländern zeigte sich zu Beginn der 2010er-Jahre eine ausgeprägte Wachstumsschwäche. Zudem sorgen die verschiedenen großen Konjunktur- und Wiederaufbaupakete etwa in den USA oder in den Ländern der Europäischen Union in den kommenden Jahren für zusätzliche Dynamik.

Zunehmende Bedeutung der Schwellenländer

Infolge ihres im Vergleich zu den Industrieländern anhaltend höheren Wirtschaftswachstums steigt der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer an der weltweiten Wirtschaftsleistung im Prognosezeitraum. Im Jahr 2000 betrug ihr Anteil lediglich rund ein Viertel. Im Jahr 2040 wird die Hälfte des globalen BIP in Schwellen- und Entwicklungsländern erwirtschaftet werden. Die industrialisierten Volkswirtschaften des Westens spielen somit zwar nach wie vor eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Weltwirtschaft. Ihre Bedeutung nimmt aber Jahr für Jahr ab.

Ende der ökonomischen Dominanz des Westens?

Die globalen demografischen und wirtschaftlichen Gewichte verschieben sich in den nächsten 20 Jahren massiv. Darauf sind heimische Unternehmen bislang nur in Teilen vorbereitet. Das zeigt eine Studie von vbw und Prognos vom Januar 2021 (zur Studie). Der „Westen“ – also Nordamerika sowie West- und Mitteleuropa – verliert bis zum Jahr 2040 an ökonomischer Dominanz, stellt aber weiterhin große Absatzmärkte. Vor allem Ostasien und die Pazifikregion mit dem Schwergewicht China und teilweise auch Südasien gewinnen an wirtschaftlichem Gewicht. Ein nennenswerter Aufholprozess der übrigen Schwellen- und Entwicklungsländer ist in den nächsten zwei Dekaden nicht zu erwarten. Das derzeitige Wohlstandsgefälle zwischen dem „Westen“ und den übrigen Weltregionen – gerade Subsahara-Afrika – ist absolut schlicht zu groß.

Die langfristig abnehmende ökonomische Dominanz des „Westens“ könnte mit einer verstärkten Deglobalisierung einhergehen, falls geopolitisches Kräftemessen aufgrund der ökonomischen Verschiebungen, protektionistische Tendenzen im Zuge der COVID-19-Pandemie oder die Kritik an der gegenwärtigen, westlich geprägten Handelsordnung zunehmen. Deutschland und die Europäische Union würden von einer derartigen Deglobalisierung empfindlich getroffen. Ob Außenhandel, Investitions- und Forschungstätigkeit oder Rohstoffversorgung – die heimische Wirtschaft ist hochgradig verflochten mit Partnerländern in sämtlichen Weltregionen. Sie benötigt daher eine globale Wirtschaftsordnung, die wirtschaftlichen Austausch weltweit möglich macht. Das gilt insbesondere für die nächsten Dekaden, wenn die europäischen Volkswirtschaften im Zuge ihrer demografischen und ökonomischen Entwicklung an Wachstumspotenzial für die heimische Exportindustrie einbüßen und die größten Marktpotenziale stattdessen in Asien und Nordamerika liegen.

Globale Wirtschaftsleistung

Insgesamt legt die globale Wirtschaftsleistung zwischen 2020 und 2040 um zwei Drittel zu. Der größte Wachstumsbeitrag kommt dabei aus China. Die Volksrepublik ist im betrachteten Zeitraum für 31 Prozent des künftigen Wachstums verantwortlich. Die USA und die Länder der Europäischen Union leisten mit 18 Prozent bzw. 11 Prozent ebenfalls einen großen Wachstumsbeitrag. Auf Indien, das zweitgrößte Schwellenland, entfallen lediglich rund 7 Prozent.

Wachstum und Wohlstand in den Weltregionen

Industrieländer 

In der Gruppe der Industrieländer verstetigt sich damit eine langfristige Tendenz, die bereits in der kurzen Frist erkennbar war. Die USA wachsen im Vergleich zu den Ländern der Europäischen Union dynamischer. Dafür verantwortlich ist v. a. die günstigere demografische Entwicklung in den USA. Das BIP je Einwohner wächst in der Europäischen Union hingegen sogar mit einer höheren Wachstumsrate als in den USA. Ein überdurchschnittlich hohes Wachstumstempo weist in der Gruppe der Industrieländer Südkorea auf. Zwar altert auch die südkoreanische Gesellschaft spürbar. Gleichzeitig profitiert das Land aber wirtschaftlich von seinen intensiven Handelsbeziehungen mit den wachstumsstarken asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern.

Schwellenländer

Innerhalb der Gruppe der Schwellenländer dominiert wirtschaftlich China. Zwar ist das Wachstumstempo in der Volksrepublik in den kommenden beiden Jahren geringer als in der Vergangenheit und wird etwa von der Entwicklung in Indien übertroffen. Die chinesische Volkswirtschaft ist mittlerweile jedoch so stark, dass das Land auch mit niedrigeren Wachstumsraten der wichtigste Motor der Weltwirtschaft bleibt.

Konvergenz

Bezüglich des Wohlstandsniveaus ist in der langen Frist eine leichte Konvergenzentwicklung zu beobachten: Nicht nur das BIP insgesamt, sondern auch die Wirtschaftsleistung je Einwohner steigt in den Schwellen- und Entwicklungsländern schneller als in den Industrieländern.

Gleichwohl bleibt der Abstand zwischen den Wohlstandsniveaus der beiden Ländergruppen groß – und wird in absoluten Werten gemessen sogar größer. Die Entwicklung zeigt, wie schwierig der Sprung vom aufstrebenden Schwellenland zu einem wohlhabenden Industrieland ist. Nur wenige Länder, etwa Südkorea, haben diesen Sprung in den vergangenen Jahrzehnten geschafft.

Globale Handelsverflechtungen

Offenheitsgrad

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden die globalen Liefer- und Produktionsketten im Jahr 2020 zum Teil massiv gestört, sodass der Welthandel 2020 noch stärker zurückging als die globale Wirtschaftsleistung. Im Ergebnis sank der globale Offenheitsgrad von 56 Prozent im Jahr 2019 auf 54 Prozent im Jahr 2020. In der mittleren und langen Frist steigt der globale Handel jedoch wieder etwas schneller als das weltweite BIP. Gleichwohl ist im Hinblick auf den Offenheitsgrad – und damit den Welthandel – lediglich eine verhaltene Globalisierungsdynamik abzusehen. Während der Offenheitsgrad in der Hochphase der wirtschaftlichen Globalisierung zwischen 1990 und 2000 um durchschnittlich 1,1 Prozentpunkte p. a. zunahm, ist im Prognosezeitraum bis 2040 lediglich eine Zunahme um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte p. a. zu beobachten. Diese Entwicklung ist den fehlenden Fortschritten im Hinblick auf eine weitere Liberalisierung des Welthandels geschuldet. Die zunehmende Zahl protektionistischer Maßnahmen, insbesondere in Form von nichttarifären Handelshemmnissen, verhindert eine höhere Dynamik des Welthandels (zum Artikel Globalisierung). Zudem zeigt sich in der geringen Zunahme des Offenheitsgrads das zunehmende weltwirtschaftliche Gewicht der Schwellen- und Entwicklungsländer – sie weisen im Vergleich zu den hochentwickelten westlichen Volkswirtschaften in der Regel einen deutlich geringeren Offenheitsgrad auf. 

Weltexportanteile

Auf dem Weltmarkt zeigt sich ein ähnliches Bild wie bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt. Die großen entwickelten Volkswirtschaften – darunter Deutschland und die USA – spielen auch künftig eine wichtige Rolle. Gleichwohl verlieren die Industrieländer insgesamt an relativer Bedeutung. Ihr Anteil an den weltweiten Exporten sinkt von 57 Prozent im Jahr 2020 auf 53 Prozent im Jahr 2040. Im Gegenzug steigt der Weltexportanteil der Schwellen- und Entwicklungsländer. So nimmt etwa der chinesische Anteilswert im gleichen Zeitraum von 12 Prozent auf 14 Prozent zu.

China spielt (längst) in einer anderen Liga als die übrigen Schwellenländer

Insgesamt hat die COVID-19-Pandemie die Entwicklung der Weltwirtschaft in keine vollkommen neue Richtung gelenkt. Gleichwohl hat sie einige grundlegende Entwicklungstendenzen beschleunigt. Innerhalb der Gruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer setzt sich China in der kurzen Frist weiter ab. Die übrigen großen Schwellenländer – vor Jahren wurden China, Indien, Brasilien, Russland und Südafrika noch als vergleichsweise homogene Gruppe der BRICS-Länder zusammengefasst – sind im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft nicht nur deutlich kleiner, sondern wachsen vor allem merklich langsamer. In der langen Frist nimmt zwar das chinesische Wachstumstempo spürbar ab. Gleichwohl hat China mittlerweile eine Größe und ein Wohlstandsniveau erreicht, die bzw. das das Land dauerhaft aus der Gruppe der übrigen großen Schwellenländer hervorstechen lässt. In der Gruppe der hochentwickelten Volkswirtschaften können die USA ihre Wirtschaftsleistung bis 2040 spürbar schneller steigern als die Europäische Union. In Ostasien bleibt zwar Japan mit einigem Abstand die größte Volkswirtschaft. Gleichwohl zeigt Südkorea ein deutlich stärkeres Wirtschaftswachstum und überholt Japan bei der Wirtschaftsleistung je Einwohner. 

Wirtschaftsbeziehungen zwischen Bayern, Deutschland und China

Sowohl bezüglich des Handels als auch der Direktinvestitionen haben sich die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen Bayerns und ganz Deutschlands mit China über viele Jahre intensiviert. Eine Studie im Auftrag von vbw zeigt, dass China weltweit eine zunehmend wichtigere Rolle als Investor spielt (zur Studie). Bayern und Deutschland stehen – als hochentwickelte Volkswirtschaften, die über zukunftsträchtige Schlüsseltechnologien verfügen – im Fokus der „Going Global“-Strategie, mit der die chinesische Regierung Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen fördert. Für hiesige Unternehmen sowie den Standort Bayern bietet eine enge außenwirtschaftliche Verflechtung mit China große Chancen. Gleichwohl stellen Chinas „Made in China 2025“-Strategie (MIC-2025-Strategie) und die „Neue Seidenstraße“ ein erhebliches Risiko für die deutsche und bayerische Wirtschaft dar. Die MIC-2025-Strategie hat zum Ziel, in „Schlüsselindustrien“ technologisch führend zu sein. Mit der „Neuen Seidenstraße“ weitet China seinen geopolitischen Einfluss aus und sichert sich die Absatzmärkte von morgen.

Es zeigt sich, dass chinesische Investoren in Deutschland und Bayern vor allem an Beteiligungen oder Übernahmen von Unternehmen aus Industriebranchen interessiert sind, in denen Deutschland und Bayern technologisch führend sind. Dazu gehören insbesondere die Bereiche Maschinenbau, Automobilindustrie, IKT sowie Chemie und Pharma. Ein großer Teil der ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland entfällt damit auf die in der MIC-2025-Strategie definierten Schlüsselindustrien.

Ein weiterer Problembereich bleiben die politischen Rahmenbedingungen für Investitionen. China öffnet sich zwar zunehmend für ausländische Direktinvestitionen, bleibt aber ein stark regulierter und von Staatsunternehmen dominierter Markt. Das von Deutschland und China offiziell proklamierte Ziel eines „level playing fields“, also möglichst ähnlichen Zugangsbedingungen zum Markt des jeweiligen Partners, ist trotz verschiedener Ankündigungen und rechtlicher Neuregelungen bis heute keine Realität.

Spotlight Deutschland bis 2022
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